Johannes Moosdiele-Hitzler, Konfessionskultur – Pietismus – Erweckungsbewegung, Die Ritterschaft Bächingen zwischen „lutherischem Spanien“ und „schwäbischem Rom“ (= Arbeiten zur Kirchengeschichte Bayerns, Band 99, hg. im Auftrag des Vereins für bayerische Kirchengeschichte), Nürnberg 2019, ISBN 978-3-940803-18-4.
„Man muss diese Gemeinde sehen, um… die volle Erklärung darüber zu erhalten, wie weit fanatische Ideen zu treiben vermögen.“ Wie wahr, nicht nur angesichts politischer Ideologien im Nationalsozialismus, Stalinismus oder IS und deren Verbrechen, sondern auch fundamentalistischer Tendenzen im tages- und weltpolitischen Geschehen.
Zur Konfessionsgeschichte in Bayerisch-Schwaben.
Umso erstaunlicher, dass sich die Themen von Religionsfreiheit, Toleranz und Integration, aber auch Migration und Auswanderung in einem Werk finden, das sich mit der längst vergangenen Geschichte von Glauben und Konfession in einem kleinen Ort in Bayerisch Schwaben befasst.
Denn das oben zitierte Urteil fällte 1820, vor genau 200 Jahren, der bayerische Regierungsrat Ludwig Wirschinger in einem Bericht zum Pietismus in der Diaspora-Gemeinde Bächingen an der Brenz im Landkreis Dillingen, gelegen im Donauried und am Ostrand der Schwäbischen Alb, unmittelbar an der Landesgrenze zu Baden-Württemberg.
Nicht umsonst stellt der Autor das Zitat seinem knapp 800-seitigen Opus Magnum der Konfessionsgeschichte voran, das nach über 20-jähriger Forschungsarbeit und zugleich als Dissertation an der Universität Augsburg entstand. Hatte sich doch in Bächingen in starker Abgrenzung von den umgebenden Territorien ein religiöser und soziokultureller Mikrokosmos und eine konfessionelle Identität ganz spezifischer Art entwickelt, unter maßgeblichem Einfluss der adeligen Obrigkeit vor Ort und allen voran der überzeugten Pietistin Franziska von Hohenheim, spätere Herzogin von Württemberg.
Was durch Titel und Blick ins Inhaltsverzeichnis vielleicht zunächst etwas sperrig und spröde wirken mag, stellt sich bald als erfreulich lebendige Kultur- und Sozialstudie heraus, Stichwort: Konfessionskultur, dargelegt am Beispiel einer kleinen schwäbischen Dorfgemeinschaft zwischen protestantischem Bekennertum, Pietismus, Herrnhutern und den sog. Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts – und zugleich auch zwischen dörflicher und höfischer Lebenswelt.
Überregionale Wirkung der Bächinger „Bewegung“.
Die Bächinger „Bewegung“ zeitigte dabei eine überraschend nachhaltige und überregionale Wirkung und fruchtete unter anderem in gleich zwei religiös motivierten Auswanderungswellen: 1751 ins amerikanische Neuengland und 1821 ins später russische Bessarabien am Schwarzen Meer.
Und für das tiefergehende Interesse: Quellen und Texte zu Bächingen.
Als nicht minder interessant als die Lektüre der vier überaus materialreichen, sorgfältig recherchierten und gegliederten Kapitel im knapp 500-seitigen Hauptteil erweist sich der Anhang, in dem sich auf immerhin 300 weiteren Seiten eine Auswahl besonders interessanter Quellen und Texte findet. Vor allem die Briefsammlung, darunter solche von “Glaubensflüchtlingen“ und Kolonisten aus Russland, oder ein Verzeichnis der Bächinger Auswanderer von 1821/22 zeichnen ein anschauliches Bild dieses kaum wahrgenommenen, ungeahnt bewegten und bewegenden Kapitels der Bayerischen Geschichte.