Joe Biden, Dachau und die Greuel der nationalsozialistischen Herrschaft

 

Joe Bidens Buch „Versprich es mir“ und sein Besuch in Dachau

In seinem 2017 veröffentlichten Buch „Promise me Dad. A year of hope, hardship and purpose“ warf Joe Biden der Dachauer KZ-Gedenkstätte Geschichtsklitterung und Verharmlosung der nationalsozialistischen Greueltaten vor.
Nun: Die Bedeutung des Signals entsteht bekanntermaßen im Empfänger. Wie man detailliert hier in dem Artikel der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG nachlesen kann, war beim dem mächtigsten Mann der Erde bei seinem Besuch in Dachau damals 2015 wohl der subjektive Eindruck entstanden, dass man die Gedenkstätte „weichgespült“ hätte. Viele seiner irrtümlichen Beobachtungen und deren Interpretation lassen sich aber aus der Geschichte der Gedenkstätte nach 45 schlüssig erklären! Wie auch immer. Den Vorwurf der Verharmlosung der Greueltaten des Nationalsozialismus und „Geschichtsklitterung“ kann man den beiden im Folgenden besprochenen Büchern sicherlich nicht machen!

 

Die Euthanasie und die Debatten um Werner Leibrand und „die Menschenrechte der Geisteskranken“

 

Psychiatrie und "Euthanasie" in der HuPfla. Debatten zu Werner Leibbrands Buch

Andreas Frewer (Hg.), Psychiatrie und „Euthanasie“ in der HuPfla. Debatten zu Werner Leibbrands Buch „Um die Menschenrechte der Geisteskranken“ (= Studien zur Geschichte und Ethik der Medizin), Erlangen / Nürnberg 2020, ISBN 978-3-87707-187-8.

Gerade einmal ein einziges Jahr war bei Erscheinen von Leibbrands Buch vergangen, seit 1945 die letzten Patienten an der Heil- und Pflegeanstalt in Erlangen ermordet worden waren und er selbst mit seiner jüdischen Ehefrau aus der ständigen Lebensgefahr im Untergrund wieder auftauchen konnte.

Als promovierter Arzt und Medizinhistoriker wurde Leibbrand (1896–1974) fortan zu einem leidenschaftlichen Aufklärer in Sachen Medizingeschichte, -ethik und „Euthanasie“. Die von ihm herausgegebenen „Gedenk- und Mahnworte der Ärzte der Erlanger Heil- und Pflegeanstalt …“, landläufig „Hupfla“, waren anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens als Sammelband von 120 Seiten mit elf Aufsätzen erschienen, aus eigener Feder und der von sieben Mitautoren. Etwa zur gleichen Zeit sollten einige der Täter von damals im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 zur Rechenschaft gezogen werden.

Wem sich die Struktur des Bandes in seiner Kombination historischer und aktueller Beiträge also nicht gleich auf Anhieb oder durch einen Blick in das Inhaltsverzeichnis erschließt: Der Nachdruck der Leibbrand-Ausgabe von 1946 bildet den Kern der Publikation, dem fünf kurze Einführungstexte vorangestellt wurden und der im Anschluss vom Herausgeber und den Autoren ausführlich kommentiert und debattiert wird. Zudem ist der Inhalt durch Orts-, Personen- und auch Sachregister exzellent erschlossen und Literatur zum Thema reichlich verzeichnet.

Was nun fand hinter den Mauern der Alten Nervenklinik wirklich statt? Angewandte Wissenschaft und medizinische Forschung oder ideologisch motivierte Massenmorde oder beides? Wer wusste bis 1945 davon, und war es möglich, mitten in der Stadt davon (nicht) zu wissen? Darf man den Tatort abreißen, Geschichte sozusagen „begraben“, oder soll, muss man dem Grauen direkt vor Ort, „on the spot“, ins Auge sehen und dessen gedenken? Und wenn ja, wie? Damit wären wir live in der noch immer brisanten Diskussion um ein angemessenes, würdiges Gedächtnis historischen Geschehens, sprich: eine „lebendige Gedenk- und Erinnerungskultur“, wie es so gerne formuliert wird.  Liebe Leser, die „Hupfla“ – vom Tatort zum Dokumentationszentrum oder gar „Unesco-Weltkulturerbe“?

Aber halt, bevor Sie urteilen, sollten Sie vielleicht kontrastiv einen Blick in die „kleine“ Welt der Opfer der Krankenmorde und ihre Lebenslinien werfen, zum Beispiel im bayerischen Allgäu und der scheinbaren Idylle der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren und Irsee, wo später selbst in der Familie nicht DARÜBER gesprochen wurde …

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Buchtitel des Buches: Gedenkbuch für die Opfer der Euthanasie in Kaufbeuren

Die Opfer der Euthanasie in Kaufbeuren

„Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen.“ Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Verbrechen, bearbeitet von Michael von Cranach, Petra Schweizer-Martinschek und Petra Weber, hg. vom Bezirk Schwaben, den Bezirkskliniken Schwaben und der Stadt Kaufbeuren, Neustadt an der Aisch 2020, ISBN 978-3-87707-194-6.

Es wurde nicht darüber gesprochen, Punkt. Weder über („Geistes-“) Krankheit an sich, noch über Morde an Kranken, geschweige denn über ihre Mörder. Schluss, Aus, Amen. Lange genug war dem so. Heute sind weder die NS-Verbrechen noch ihre Opfer und Täter tabu. Heute spricht auch jeder, zumindest theoretisch, von Krankheit, Therapie und Pflege, meist in eleganter Umschiffung von Leiden und Sterben, getoppt nur durch das omnipräsente Zauberwort „Gesundheit“, ob in der Apotheken-Postille bis hin zum Blog über Darmsanierung oder der Werbung für Nahrungsergänzungsmittel. In den viral-virulenten Zeiten von Corona beherrscht DAS oder DER Virus respektive Lebensschutz durch Impfungen und AHA-Regeln unsere öffentliche Diskussion gerade fast zur Gänze.

Vor über 75 Jahren, zwischen 1939 und 1945, wurden Patienten in einigen Heil- und Pflegeanstalten dagegen unter bestimmten Umständen gezielt um ihr krankes, „unwertes“ Leben gebracht. Auch Orte wie Kaufbeuren oder Irsee waren Schauplätze solcher Morde im Rahmen des NS-„Euthanasie“-Programms. Von den im vorliegenden Band vorgestellten 21 „geisteskranken“ Menschen litt etwa ein Drittel an dem, was heute wohl als Altersdemenz bezeichnet würde. Anderen wurden starke Depressionen, angeborene oder durch Krankheiten und Unfälle verursachte geistige wie körperliche Behinderungen sowie – aufgrund vernichteter Krankenakten – unbekannte Leiden zum Verhängnis. Zu-Tode-Pflegen und „Endsorge“ ersetzten dann medizinische Hilfe und Fürsorge.

Bekannt ist, das verschont blieb, wer arbeitsfähig, -willig und fügsam war. Stellte sich jedoch eine zu starke „Unruhe“, Apathie und Passivität oder Bettlägerigkeit ein, findet sich der lakonische Vermerk „geht (in letzter Zeit immer mehr) zurück“, meist unweigerlich gefolgt von „plötzlichem“ Verscheiden, ganz ohne Todesursache oder angeblich durch Lungenentzündung oder -tuberkulose. In Wirklichkeit starben die Insassen durch Überdosen schwerer Schmerz- und Beruhigungsmittel wie „Luminal“ und Morphium (-„Scopolamin“), verhungerten unter ärztlicher Aufsicht bei verordneter „Hungerkost“ ganz allmählich von alleine oder wurden im Rahmen der „Aktion T4“ zur Vergasung in die Tötungsanstalten Grafeneck auf der Schwäbischen Alb oder nach Schloss Hartheim bei Linz „verlegt“ – letzteres übrigens in Reisebussen und als Pilotversuche zu den Massenvernichtungen von Menschen, die noch folgen sollten. 21 traurige Lebenswege hilfsbedürftiger und kranker Menschen, von Franz Abele bis Ferdinand Weitnauer (der fröhliche Junge auf dem Titelbild!), werden in diesem „Gedenkbuch“ zusammengestellt – nebst dem des verantwortlichen Leiters der Anstalt von 1929 bis 1945, Dr. Valentin Faltlhauser …

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