Neues Archiv für sächsische Geschichte, 94. Band, 2023, herausgegeben von Enno Bünz, Andreas Rutz, Uwe Schirmer und Joachim Schneider.
Seit 1863 erscheint – mit einer langjährigen Unterbrechung von 1943 bis 1992 – jährlich das Neue Archiv für sächsische Geschichte, herausgegeben im Auftrag des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde. Nun ist die Ausgabe des Jahres 2023 erschienen, und bietet neue, spannende Einblicke in Aspekte und Epochen der sächsischen Geschichte von 1423 bis hin zum 20. Jahrhundert. Auch Updates und Berichte aus der Forschungsgemeinschaft und Rezensionen neu erschienener Bücher sowie Nachrufe sind wie immer in dem immerhin schon 94. Band zu finden.
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Königshöfe und ihre Geschichtsschreibung
Die inhaltlichen Beiträge der aktuellen Ausgabe beginnen mit dem Jahr 1423, dem „Wendejahr der sächsischen Geschichte“, wie Autor und Co-Herausgeber Enno Bünz es betitelt. Er beginnt mit dem unglücklichen Tod des Kurfürsten Albrechts III. von Sachsen Wittenberg und zeichnet dann historische Gegebenheiten fast schon erzählerisch nach, wie das Haus der Wettiner im sich anschließenden Hin und Her der Politik die Kurwürde erlangte, ein Aufstieg, der sich europaweit auf die Bedeutung von Sachsen auswirkte. Ebenfalls auf das Jahr 1423 bezieht sich der folgende Exkurs von Uwe Tresp, der sich mit dem Hintergrund vertraglich festgelegter finanzieller Absprachen zwischen König Sigismund und Markgraf Friedrich von Meißen befasst.
Ein zeitlicher Sprung findet dann im nächsten Beitrag von Nico Hillme statt, der das 17. Jahrhundert und die normativen Aspekte der Prinzenerziehung am kursächsischen Hof näher unter die Lupe nimmt und dafür eine Vielzahl unterschiedlicher schriftlicher Quellen zu Rate zieht. Er beschäftigt sich jedoch besonders mit den vom Kurfürsten verfassten und erlassenen Erziehungsinstruktionen, die einen Einblick in das Leitbild des Kurfürstenhofes bieten.
Krieg und Frieden
Die folgenden Beiträge drehen sich dann um Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Sachsen und seinen Nachbarländern. So berichtet Tomasz Szwaciński von seiner Recherche zur Rolle von Dresden in den Verhandlungen, die dem Renversement des alliances, einem wichtigen Wandel des Systems europäischer internationaler Beziehungen, vorangingen. So bemühte sich Sachsen zwischen 1754 und 1756 um einen Subsidienvertrag mit Großbritannien oder Frankreich, was für alle europäischen Kräfte von Interesse war. Die antipreußische Politik Dresdens fand ein Ende mit Einmarsch der Preußen im Jahre 1756, womit der Siebenjährige Krieg begann. Mit dem Schicksal des Hofes Augusts III. in Dresden während der Kriegszeiten befasst sich Filip Emanuel Schufferts Beitrag. Er untersucht die Verlagerung des Hofes, die Flucht- und Migrationsbewegungen von Sachsen nach Warschau und die Ankunft, Einrichtung und Finanzierung des Hofes im Exil. Dabei nimmt er sowohl Könige, Prinzen und Minister in den Blick wie auch Kunsthandwerker und Musiker.
Gesellschaftliche Entwicklungen
Die letzten vier Beiträge des Neuen Archivs werfen einen genaueren Blick auf gesellschaftliche Aspekte des sächsischen Lebens. Den Anfang macht Stefan Beckert mit einer Untersuchung zeitgenössischer Wahrnehmungen und Erwartungen an die Dresdner Bettelvögte, die im 18. Jahrhundert als Teil der Ordnungskräfte und Exekutivorgan der Armen- und Bettelorden vor allem Bettelverbote durchsetzen sollten. Dabei bewegten sie sich in der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Zeitgenossen zwischen der Rolle der Repräsentanten eines ungerechten Systems und der desjenigen, der die gute Ordnung wiederherstellen und sichern soll.
Frank-Michael Kuhlemann befasst sich mit dem sozialpolitischen Wirken des Pfarrers, Politikers und Publizisten Friedrich Naumann in Sachsen zwischen 1860 und 1919, das im Kontext der kaiserlichen Politik wie auch der Religionsgeschichte betrachtet wird. An das Jahr 1919 schließt der nächste Beitrag an, in dem sich Arne Frenk mit der Entwicklung des Reichsbund jüdischer Frontsoldaten in Dresden und Sachsen bis 1938 beschäftigt. Er geht mit seiner Nachverfolgung der Organisationsgeschichte der Frage nach, wie der Reichsbund sich mit Ende des Ersten Weltkrieges, Gründung und Untergang der Weimarer Republik und der Entstehung der NS-Herrschaft zwischen Integration und Assimilation positioniert hat und wie sein Kampf gegen Antisemitismus und für eine Anerkennung der Leistung jüdischer Soldaten im Krieg ge- oder misslang.
Zu guter Letzt macht sich Stephanie Zloch in ihrem Beitrag auf eine Suche nach kolonialen Spuren des langen 19. Jahrhunderts in der historischen Erinnerung und im öffentlichen Raum in Sachsen.
Beträge zu Forschung und Diskussion liefern Ralph Gundram, Karlheinz Hengst, Berndt Hamm und Andreas Rutz. Enno Bünz und Bruno Klein tragen einen Nachruf auf den 2021 verstorbenen Kunsthistoriker Heinrich Magirius bei. Abgeschlossen wird der 94. Band des Neuen Archivs für Sächsische Geschichte mit Rezensionen von 32 Werken zu diversen Themen der Geschichtsforschung.
Enno Bünz, Andreas Rutz, Uwe Schirmer und Joachim Schneider (Hrsg.): Neues Archiv für sächsische Geschichte, 94. Band, 2023, herausgegeben im Auftrag des Instituts für Sächsische Geschichte und Volkskunde, erschienen im Verlag PH.C.W. SCHMIDT aus Neustadt an der Aisch, ISBN 978-3-87707-301-8, Ladenpreis 39 €; im Abonnement 31€ pro Ausgabe.