Philipp T. Haase und Joey Rauschenberger, Zwangsarbeit im Landkreis Wasserburg a. Inn 1939–1945, Eine Geschichte des nationalsozialistischen „Ausländereinsatzes“ in Oberbayern (= Veröffentlichungen des Stadtarchivs, Nr. 9, hg. vom Stadtarchiv Wasserburg a. Inn), Wasserburg a. Inn 2019, ISBN 978-3-947027-05-7
Ostarbeiter? Zwangsarbeit? Kriegsgefangene? Bei uns hier?
Die vorliegende Studie ist letztlich als Ergebnis einer vorbildlichen Preisauslobung der Stadt zur lokalen Erforschung der NS-Zwangsarbeit entstanden. Sie behandelt ein bundesweit längst nicht hinreichend, geschweige denn flächendeckend erforschtes Kapitel der NS-Zeit. Dieses war im Rahmen des Schicksals jüdischer KZ-Insassen in den ersten Nachkriegsjahrzehnten zwar immerhin sporadisch aufgearbeitet worden und hatte sich Mitte der 80er Jahre auf breiterer Basis als eine Art „Forschungsgenre“ etabliert, fand aber erst mit der Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im Jahr 2000 mehr öffentliche Beachtung und Unterstützung. Den Entschädigungsansprüchen der bis dato noch lebenden „Ostarbeiter und -arbeiterinnen“ konnte man dann allerdings, wenn überhaupt, oft nur noch symbolisch gerecht werden.
Das „Alltagsleben“ der Fremdarbeiter.
Die Autoren zeigen eingangs das System der scheinbar harmlos als „Ausländer-Einsatz“ deklarierten Zwangsarbeit in der deutschen Kriegsgesellschaft in und um Wasserburg auf. Tausende gewaltsam verschleppte polnische Zivil- und Ostarbeiterinnen und –arbeiter, überwiegend aus der Sowjetunion, waren neben französischen und sowjetischen Kriegsgefangenen sowie auch Angehörigen überraschend vieler anderer Nationen betroffen. Der zahlenmäßig exakt belegbare Umfang und das Ausmaß des Unrechts werden ebenso erfasst wie die teils in großem Stil profitierenden Arbeitsgeber aus Landwirtschaft, Industrie und Handwerk, allen voran einige heimische Bauunternehmen und Molkereien. Dokumentiert werden streiflichtartig auch die alltäglichen Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort, meist geprägt von Zwang, Mangel, Krankheit und oft genug Elend, Gewalt und Tod. Auch dem Umgang von Polizei und Justiz mit Fremdarbeitern ist ein eigener Abschnitt gewidmet, etwa der Kriminalisierung von Liebesbeziehungen und sexuellen Kontakten mit Einheimischen. Wie das Thema Zwangsarbeit dann in den Nachkriegsjahren im Zuge von Entnazifizierung, latentem Rassismus, privaten Nachforschungen und Kontakten zwischen Betroffenen oder staatlichen Entschädigungszahlungen mehr oder weniger aufgearbeitet wurde, dazu das letzte Kapitel, dem ein ausführliches Resümee folgt.
Die Quellen zum Landkreis Wasserburg: Aus Archiven und aus den Spruchkammerakten.
Eine breite Basis erstmals ausgewerteter Quellen liegen der Untersuchung zugrunde, vor allem aus dem Stadtarchiv, dem zuständigen Staatsarchiv München (darunter die sog. Spruchkammerakten zu NS-Verantwortlichen) oder auf Bundesebene den leider noch immer zu wenig bekannten „Arolsen Archives“ als Suchdienst für Opfer des NS-Systems im hessischen Bad Arolsen (ehemals „International Tracing Service“). Was sich an Unrecht nie mehr „wieder gut machen“ lässt, erfährt so durch eine fundierte wissenschaftliche Aufarbeitung und zahllose bislang unveröffentlichte Zeitzeugenberichte auf lokaler Ebene dann eben doch noch ein wenig Wiedergutmachung.
Die Beschwerde einer ukrainischen „Ostarbeiterin“ über fehlende Entlohnung und Prügel quittierte die Bäuerin A.O. damals lapidar mit der Bemerkung, es könne nicht angehen, „dass die Ausländer tun und lassen was ihnen behagt“. Der sowjetische Zwangsarbeiter W.W. hingegen resümiert seine Erfahrungen so: „Teuflische Kräfte rissen uns aus der vertrauten heimischen Umgebung heraus und brachten uns nach Deutschland – in das „Finale der weltlichen Qual“.
Siehe dazu auch den Artikel >>>>>>>> Opferforschung in Franken